"Wir gestalten hier die Zukunft unserer Umwelt": Interview mit Dekan Prof. Dr. Ir. MA (AA) Christoph Grafe
Prof. Dr. Ir. MA (AA) Christoph Grafe lehrt seit 2013 Architekturgeschichte und Theorie an der Bergischen Universität Wuppertal. Er hat Architektur studiert, auch in Architekturbüros gearbeitet und ist schon seit vielen Jahren an verschiedenen Hochschulen tätig, unter anderem in den Niederlanden, in Belgien, Großbritannien und Italien. Seit April 2024 ist er Dekan der Fakultät für Architektur und Bauingenieurwesen an der Bergischen Universität Wuppertal.
Im Interview geht es u.a. um Profil, Zukunft und Pionierrolle der Fakultät am Campus Haspel. Das Video-Interview vom 22. Mai 2024 wurde für die Veröffentlichung in Textform gekürzt und aktualisiert.
Herr Prof. Grafe, wo sehen Sie die Kernpunkte dieser Fakultät?
Wir haben hier in der Fakultät ganz unterschiedliche Bereiche, Expertisen und Arbeitsweisen: Im Bauingenieurwesen wird gerechnet, auch detailliert geplant. In der Architektur wird entworfen, sicher auch gerechnet und es gibt viele soziale und kulturelle Aspekte. Aber was uns alle vereint, ist die Tatsache, dass wir die Umwelt, in der wir Menschen und alle Lebewesen leben, gestalten: in den Städten, in der Landschaft, in den Häusern.
Dieses gemeinsame Gestalten der Umgebung unserer Umwelt verbindet uns an der Fakultät. Ich glaube, das ist etwas, was wir den Menschen auch außerhalb der Fakultät erzählen müssen: dass wir hier daran arbeiten, wie die Zukunft unserer Umwelt aussehen wird. Also ganz konkret, ganz greifbar. Dafür haben wir in unseren drei Studiengängen verschiedene Methoden, wie wir das tun, aber es gibt auch sehr große Überschneidungen.
Es gibt wohl keine Fakultät an der Bergischen Universität Wuppertal, die sich häufiger mit der Frage der Nachhaltigkeit auseinandersetzen muss als wir. Alles, was wir hier behandeln, lehren und lernen, hat letztlich mit dem Begriff der Nachhaltigkeit zu tun. Man kann auch sagen, dass die Arbeit von Ingenieur*innen und Architekt*innen wahrscheinlich noch mehr als in anderen Berufszweigen von dieser neuen Herausforderung beeinflusst wird – unter anderem natürlich von den Folgen der Klimakrise, aber auch von der Veränderung unserer Gesellschaft.
Städte sehen heute schon anders aus als vor 20 Jahren, und sie werden sich noch weiter verändern. Und diesen Prozess, den man auch einen Transformationsprozess nennen könnte, werden wir gestalten. Das ist letztlich das, was wir hier erforschen und was wir dementsprechend auch lehren. Das ist der Kern dieser Fakultät.
Wie sieht die interdisziplinäre Zusammenarbeit an der Fakultät aus?
Was in den nächsten Jahren noch einmal ganz besonders auf unserem Schreibtisch liegen wird – und damit meine ich nicht nur meinen persönlichen Schreibtisch, sondern den Schreibtisch von uns allen – ist, dass wir genau schauen, wie wir den Prozess gemeinsam gestalten, wo wir unsere besonderen Schwerpunkte haben und wie wir diese Schwerpunkte noch besser definieren, damit sie auch besser wahrnehmbar werden.
Ich nehme als Beispiel einen Aspekt: In der Architektur haben wir uns in den letzten Jahren sehr stark mit der Bauwende befasst – weg vom Abriss- und Neubau hin zum Umbau. Da haben wir in Wuppertal schon heute eine Pionierrolle. Das ist ein Bereich, der gerade in den letzten Jahren sehr viel mehr Aufmerksamkeit bekommen hat und wo wir als Fakultät auch auf etwas aufbauen können, wo wir schon eine Position haben. Auf der anderen Seite ist es aber auch ein Bereich, in dem sich vielfach eine Zusammenarbeit ergibt, zum Beispiel mit Konstrukteuren, mit Menschen aus der Wasserwirtschaft, aus der Immobilienwirtschaft, aus dem Verkehrswesen. Also mit anderen Worten: Es ist ein Feld, das wir über alle disziplinären Gebiete dieser Fakultät bearbeiten können und auf dem wir noch viel sichtbarer werden können. Und diese Sichtbarkeit ist nicht nur für die Forschenden an dieser Fakultät interessant, sondern auch für die Studierenden, weil sie an dieser Neuerfindung unseres Berufs teilhaben können.
Was wird die Fakultät in den nächsten Jahren beschäftigen?
Zunächst einmal ist noch nicht klar, ob wir einen Neubau bekommen oder ob wir diesen Flachbau behalten. In beiden Fällen werden wir uns mit einer Baumaßnahme auseinandersetzen, und wir werden natürlich in diesem Bereich zeitweise woanders wohnen. Bislang hatte die Fakultät keinerlei Einfluss auf die Entscheidung darüber, ob und wann ein Neubau entstehen wird und ich fürchte, dass wir uns auch in der Zukunft werden arrangieren müssen. Ehrlich gesagt, fände ich es sehr interessant, wenn wir aus der provisorischen Bewohnung ein gemeinsames Projekt für Architekt*innen und Bau*ingenieurinnen machen könnten, sozusagen im Windschatten der Entscheidungsprozesse, die vielleicht noch sehr lange dauern können.
Ein zweiter Aspekt, der uns beschäftigen wird, ist: Wie werden wir internationaler? Wir werden in Zukunft ganz sicher mehr englischen Unterricht haben – zumindest in Teilbereichen. Das wird auch dazu führen, dass unsere Netzwerke sowohl in der Forschung als auch in der Lehre stärker werden und dass wir inhaltlich noch ein deutlicheres Profil haben: zum Beispiel in den Bereichen Bauen mit Bestand, Umbaukultur, aber auch im Recycling von Materialien, in Konstruktionsformen, die deutlich nachhaltiger sind, aber natürlich auch zum Beispiel in der Wasserwirtschaft – also wie sorgen wir dafür, dass wir nicht so viel Fläche versiegeln? All das wird uns ganz klar in den nächsten Jahren beschäftigen. Ich weiß, dass wir in diesen Bereichen schon jetzt eine Expertise haben, die nicht nur in Wuppertal, sondern darüber hinaus und auch international interessant ist.
Der dritte Punkt ist, die konkrete Zusammenarbeit mit den Hochschulen in BENELUX und NRW – immerhin eine der Kernregionen der Europäischen Union – stärker auszubauen. Auch hier können wir Neuland betreten und die Attraktivität unserer Universität und dieser Fakultät weiter steigern.
Ein Ausblick zum fakultätseigenen Campus Haspel?
Es ist toll, wenn man sich unseren gesamten Campus Haspel anschaut mit den verschiedenen Gebäuden, dem Altbau, der ehemaligen Königlichen Baugewerkschule: Hier gab es die sogenannte Werkkunstschule, hier wurden interessante Künstler und wichtige Architekten ausgebildet, hier lehrte unter anderem der Architekt Heinz Bienefeld. Hinzu kommt das Gebäude, das Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre gebaut wurde, einschließlich des sogenannten Flachbaus mit seinen Innenhöfen und den interessanten Kunstwerken – alles zusammen ergibt ein Ensemble, das man wirklich gut bewohnen kann.
Interessant finde ich neben unseren Campusgebäuden auch, dass wir hier mitten in Wuppertal sind, nur wenige hundert Meter vom Schauspielhaus und damit vom Pina Bausch-Zentrum entfernt. Das ist für uns eine tolle Gelegenheit, uns mit der Stadt auseinanderzusetzen und mitzugestalten, wie diese Stadt als Großstadt in Nordrhein-Westfalen, also mitten in Nord-West-Europa, in Zukunft sein wird – wie sie besser wird, wie man in ihr besser wohnen kann, sicherlich mit mehr Grün!
Mit anderen Worten: Wir gestalten hier die Zukunft. Und so ist der Campus Haspel nicht nur ein Ort, an dem wir uns zusammenfinden, sondern auch ein bisschen Auftrag.
Zur Person Prof. Dr. Ir. MA (AA) Christoph Grafe
Kontakt: dekanat.archbau[at]uni-wuppertal.de